Wie mytoys Kinder und Eltern mit guter Logistik glücklich macht
Mytoys gehört zu den am stärksten wachsenden E‑Commerce-Anbietern in Deutschland. Der Händler für Produkte rund um die Familie hat mit Investitionen in die Logistik die Weichen für die Zukunft gestellt. Das Herz schlägt in Hessen.
Von Claudius Semmann
In der hessischen 10.000-Einwohner-Stadt Gernsheim am Rhein befindet sich das wahrscheinlich größte Spielzeugparadies Deutschlands, wenn nicht sogar Europas. Allerdings: Nicht jeder kommt rein, und spielen kann man vor Ort auch nicht. Zu bestaunen gibt es nur die komplexe Logistik der Berliner Mytoys Group. Dazu gehören außer der Marke Mytoys noch der Damenmode-Onlineshop Ambellis, der Online-Schuhshop Mirapodo sowie der Familien-Shopping-Club Limango. Im Geschäftsjahr 2015/16 haben die etwa 1500 Mitarbeiter der Gruppe erstmals die 500-Mio.-EUR-Umsatzmarke geknackt. Das entspricht einem Plus von 20Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Hamburger Otto Group hatte das Potenzial früh erkannt und übernahm nach der Mytoys-Gründung 1999 bereits Ende 2000 fast 75Prozent der Anteile, die der Versandhändler mittlerweile auf fast 95Prozent ausgeweitet hat. Den Rest halten die Gründer, zu denen der Vorsitzende der Geschäftsführung, Oliver Lederle, gehört. Eine typische Herausforderung für schnell wachsende Onlinehändler wie Mytoys: Die Logistik muss im gleichen Tempo und Umfang mitwachsen. Anfang 2014 hatte die Gruppe die Logistik in Gernsheim zentralisiert. Der Standort gehört mit etwa 75000 m² Lagerfläche und rund 900 Mitarbeitern zu den größeren E‑Commerce-Versandzentren in Deutschland. Zuvor verfügte der Onlinehändler über zwei Standorte: In Gernsheim betrieb Mytoys bereits seit 2011 ein Großteilelager. Im 80km entfernten Langenselbold bewirtschaftete ein Dienstleister im Auftrag von Mytoys ein Lager für die Kleinteileabwicklung. An diesem Standort stieß der Händler allerdings an Grenzen, eine Erweiterung war nicht möglich. So mussten schließlich auch die Kleinteile in Gernsheim integriert werden. „Das war nahezu ein Grüne-Wiese-Projekt“, sagt Tim Kellermann. Mytoys hat die Immobilie zwar nur gemietet, übernahm aber die Investitionen in die Lagertechnik – „ein signifikanter zweistelliger Millionenbetrag“, bemerkt der Logistikchef und fügt hinzu: „Mit dem Standort sind wir jetzt wachstums fähig.“ Das Unternehmen habe bei der Planung diverse Ausbaustufen berücksichtigt. „Für die nächsten Jahre ist das Zentrallagerkonzept damit fix.“ Kellermann ist seit 2009 bei Mytoys, er startete erst in der Berliner Zentrale in der Logistikplanung. Durch den Ausbau in Gernsheim ist er seit 2014 Geschäftsführer der Mytoys Logistik GmbH.
Heute bestellt, morgen geliefert
Für Mytoys spielt Schnelligkeit eine wichtige Rolle. Die Liefergeschwindigkeit ist derzeit ein großes Thema im Onlinehandel, bestätigt auch Kellermann. „Die Kunden wollen zudem eine hohe Verlässlichkeit hinsichtlich der Zusage der Lieferzeit“, fügt er hinzu. Letztlich sei es eine Kombination aus Schnelligkeit und Zuverlässigkeit. Same-Day-Lieferungen bietet Mytoys noch nicht an. „Heute bestellt, morgen geliefert“, heißt es in der Regel. Etwas länger dauert die Lieferung bei den sogenannten Just-in-time-Artikeln. Das sind seltener nachgefragte Produkte, die das Unternehmen nicht permanent auf Lager hat. Der Händler war 1999 mit etwa 5000 Artikeln gestartet, heute umfasst das Sortiment etwa 130000 Produkte rund ums Kind bis hin zu Damenoberbekleidung. Insgesamt bevorratet das Unternehmen laut Kellermann circa 300000 Artikel in Gernsheim, wobei diese Zahl saisonal bedingt schwankt. Eine Kernherausforderung ist das gerade beendete Ostergeschäft. „Vor Ostern ist der Auftragseingang über mehrere Tage etwa 2,5‑mal höher als an einem Durchschnittstag“, sagt Kellermann. Zu Weihnachten steige das Aufkommen sogar um den Faktor 4. Etwa drei Wochen vor Ostern hat My toys den Lagerbestand nach oben gefahren. Und schon jetzt laufen die Planungen für das Weihnachtsgeschäft. Diese Skalierung in Spitzenzeiten ist ein wichtiger Punkt bei der Planung der Anlage gewesen. Unterjährig kann der Standort laut Kellermann dennoch ökonomisch arbeiten, wenn auch mit deutlich reduzierten Schichtzeiten. In den Hochphasen wird teilweise im Dreischichtbetrieb gearbeitet. Bei etwa 35000 Sendungen, wie es eine Woche vor Ostern der Fall war, reicht eine Schicht im Warenausgang. Während des Weihnachtsgeschäfts 2015 wurden pro Tag bis zu 60000 Pakete versendet. Lieferfähigkeit steht in der Logistik an erster Stelle. Entscheidend dafür sind die Abverkaufsprognosen, die in sämtliche Prozesse der Lieferkette einfließen. So ist die Bestellplanung letztlich die Basis für die Personal- und Mengenplanung. Die Warenanlieferung muss zeitlich möglichst nah an der Bestellung des Kunden liegen. Kellermann: „Die Kunst ist es, bedarfsgerecht anzuliefern und einen hohen Lagerumschlag zu haben.“ Prognosen spielen bei allen Entscheidungen eine große Rolle. Mytoys nutzt Oracle als Enterprise-Resource-Planning-System, in welches wiede rum das Lagerverwaltungssystem inte griert ist. Marketing, Einkauf, Logistik, Controlling – sämtliche Informationen werden verzahnt. Aus verschiedensten Einflussfaktoren wird eine Prognose erstellt. Diese fließt in die Systeme ein, die dann wiederum automatisch eine Bestellung auslösen. „Die Logistik eines Unternehmens unserer Größe lässt sich nur mit guten Daten steuern“, fügt der Manager hinzu.
Ladengeschäfte in Deutschland
Mytoys betreibt bereits seit 2006 auch Filialen, ist also eigentlich ein Multichannel-Anbieter. Mittlerweile sind es bundesweit 14 Geschäfte. Beide Kanäle ergänzen sich sehr gut, meint Kellermann. So können die Kunden zum Beispiel im Laden nicht verfügbare Produkte online bestellen und dorthin oder auch nach Hause liefern lassen. Hinter dem Stationärgeschäft steckt ein komplett anderer Lieferprozess. Die Filialen werden mehrmals pro Woche versorgt, die Waren verlassen das Logistikzentrum vorrangig auf Paletten. Die E‑Commerce-Logistik ist deutlich anspruchsvoller. „Wir haben das automatisiert, was sinnvoll ist“, sagt Kellermann. Dazu gehört zum Beispiel ein Kleinteilelager für den Nachschub. Der Versandprozess, der sich über mehrere Etagen vollzieht, beginnt bei einem automatischen Kartonaufrichter, der die verschieden großen Standard kartons schließlich auf das Förderband setzt. Sie werden über die sogenannte Versandtransportanlage (VTA) befördert, zunächst in den Kommissionierbereich. Dort geht es darum, die richtigen Artikel in der richtigen Anzahl in das richtige Paket zu legen. Die Kommissionierung basiert im E‑Commerce-Segment heute zwar noch häufig auf manuellen Prozessen. Doch es tut sich was, und zwar nicht nur beim Online-Giganten Amazon, wenn man den Aussagen von Kellermann glaubt. Er ist überzeugt, dass die Robotik verstärkt Einzug halten wird: „Das wird zweifellos kommen.“ Über die Lagerhausroboter, die Amazon bereits in einigen seiner Logistikzentren einsetzt, sagt er: „Das ist ein spannendes System – wie auch das von Grenzebach.“ Solche Ware-zu-Mann-Systeme entwickelten sich bereits zum Standard. Neu seien jetzt aber vor allem die Pick-Roboter, die auch Amazon zunehmend ins Visier nimmt. Kellermann: „Hier wird sich in den nächsten zwei, drei Jahren sicher einiges tun. Auch wir haben vor, solche Technik auszu probieren.“ Noch setzt Mytoys auf einen rein manuellen Prozess. Die Mitarbeiter laufen mit Listen durch die Gänge der Fachbodenregale. Die Artikel kommen zunächst auf einen Wagen, der dann zu einer Station gefahren wird, wo Mitarbeiter die Artikel in die entsprechenden Kartons ablegen. Eine in das Förderband integrierte Waage kontrolliert anschließend, ob das Gewicht des Pakets stimmt. Auf diese Art sollen mögliche Kommissionierfehler rechtzeitig erkannt werden. Bei Abweichungen vom Soll-Gewicht wird der Karton noch einmal ausgeschleust, für alle anderen geht es weiter Richtung Warenausgang. Wichtig bei der Gewichtskontrolle ist natürlich, dass für alle Artikel die richtigen Daten hinterlegt sind. Überhaupt: „Das gesamte System steht und fällt mit der Stammdatenpflege“, betont Tamara Erdinger, Assistentin der Geschäftsführung bei der Mytoys Logistik.
Versandtüten statt Kartons
Am Warenausgang werden die Pakete automatisch verschlossen und etikettiert, auf Wunsch werden die Artikel zuvor noch als Geschenk verpackt. Der Verschließer kann zudem feststellen, ob noch zu viel Luft im Paket ist. „Wir haben einen Volumenreduzierer, der kurz vor Versand die Luft herauslässt“, sagt Kellermann. Schätzungen zufolge beträgt der durchschnittliche Füllgrad bei Paketen im Onlinehandel 50Prozent. „Wir liegen auf jeden Fall darüber“, so der Logistikleiter. My toys ist zudem dabei, die Versandkartons im Warenausgang verstärkt durch Tüten zu ersetzen, wo dies die Produkte zulassen. Denn beim Transport ist es wichtig, die Fahrzeuge so gut wie möglich auszulasten. Mytoys liefert in alle Mitgliedstaaten der EU sowie in die Schweiz. National arbeitet das Unternehmen dabei mit der Otto-Logistiktochter Hermes zusammen, international ist DHL der Versandpartner. Doch nicht alles, was Mytoys den Kunden nach Hause schickt, bleibt auch dort. Retouren gehören zum Onlinegeschäft dazu. Deshalb gibt es ganz in der Nähe des Wareneingangs auch einen Bereich für die Rücksendungen. Große saisonale Schwankungen gibt es hier überraschenderweise nicht. „Das Aufkommen ist selbst in Spitzenzeiten relativ konstant“, sagt Mike Heubach, Leiter Retoure. Die zurückgesendeten Artikel werden geprüft, aufbereitet und gehen in 95Prozent der Fälle direkt wieder als erste Wahl in den Fach bodenbereich des Lagers. Die restlichen 5Prozent gehen in die Outlet-Bereiche der Mytoys-Filialen oder an Händler, die Restanten aus dem Handel an- und wieder verkaufen. Pro Jahr bearbeitet die Retourenabteilung derzeit etwa 5Mio. Artikel. Auf 8 bis 9Mio. Artikel, schätzt Heubach, ist der aktuelle Bereich ausgelegt, dann muss das Unternehmen auch hier erweitern. Die Retourenquote will My toys aus wettbewerbstechnischen Gründen nicht verraten.
Outsourcing ist kein Thema
Die Logistik ist bei Mytoys eine absolute Kernkompetenz. Kellermann: „Wir sind überzeugt, dass wir die logistischen Prozesse besser als ein externer Dienstleister mit den anderen Bereichen wie Einkauf, Marketing oder Controlling verzahnen können.“ Gerade aufgrund des rasanten Wachstums und der Saisonalität seien die Anforderungen diesbezüglich hoch. „Es gibt viele gute Logistikunternehmen am Markt, und wir schließen es situativ nicht aus, zum Beispiel auf Lagerkapazitäten von Dienstleistern zurückzugreifen. Aber Outsourcing ist für uns derzeit überhaupt kein Thema“, fügt Kellermann hinzu. Die Mytoys Group plant, noch viele Jahre am Logistikstandort Gernsheim zu bleiben, ihn weiterzuentwickeln und selbst zu betreiben. „Alles wird auf unseren Systemen laufen, und wir übernehmen die Steuerung“, unterstreicht der Logistikchef. 5 Mio. Artikel bearbeitet die Retourenabteilung pro Jahr.
Fotos: Mytoys