Inklu­si­on

Ama­zon inte­griert gehör­lo­se Mit­ar­bei­ter am Logis­tik­stand­ort Pforz­heim

Der Online-Ver­sand­händ­ler Ama­zon inte­griert gehör­lo­se Mit­ar­bei­ter am Logis­tik­stand­ort Pforz­heim

Der Kol­le­ge am benach­bar­ten Pack­ar­beits­platz hat eine Fra­ge. Ein Gabel­stap­ler macht mit einem kur­zen Hup­t­on auf sich auf­merk­sam, als er um die Ecke biegt. Bei der Bespre­chung zu Schicht­be­ginn wird der Tages­plan dis­ku­tiert. All das sind ganz nor­ma­le Vor­gän­ge in einem Logis­tik­zen­trum. Und doch bekommt Mela­nie Wie­land von all­dem nichts mit. Denn sie ist gehör­los und arbei­tet gemein­sam mit vier eben­falls gehör­lo­sen Kol­le­gen seit Febru­ar im Pack­be­reich des Ver­sand­han­dels­un­ter­neh­mens Ama­zon am Logis­tik­stand­ort Pforz­heim. Eine enor­me Her­aus­for­de­rung für sie – und für ihren Arbeit­ge­ber.

Kom­mu­ni­ka­ti­on klappt bes­ser

„Vor allem am Anfang war es schon schwie­rig“, sagt Wie­land mit Hil­fe ihrer Gebär­den­dol­met­sche­rin. „Es gibt ein­fach sehr vie­le Unter­schie­de zwi­schen der gehör­lo­sen und der hören­den Welt.“ Die­se Erfah­rung hat sie schon häu­fig gemacht. Ganz all­täg­li­che Situa­tio­nen sei­en nicht sofort ver­ständ­lich, es kom­me sehr leicht zu Miss­ver­ständ­nis­sen und Irri­ta­tio­nen. Ihre Mut­ter­spra­che ist ein­fach die Gebär­den­spra­che, und wer das ein­mal ver­stan­den habe, dem fal­le die Ver­stän­di­gung mit ihr wesent­lich leich­ter. Sie habe für ihre Spra­che eben kei­ne Wor­te, son­dern nur ihre Hän­de. „Nach einer ers­ten Ken­nen­lern­pha­se haben sich die hören­den Kol­le­gen bei Ama­zon sehr bemüht, mit uns zu kom­mu­ni­zie­ren“, meint Wie­land. „Am Anfang lief das vor allem schrift­lich und über Lip­pen­le­sen ab, mitt­ler­wei­le inter­es­sie­ren sich jedoch die Ers­ten sogar für das Erler­nen der Gebär­den­spra­che.“ Ihr Grup­pen­lei­ter gehe da mit gutem Bei­spiel vor­an. Das freue sie unge­mein und erleich­te­re das Mit­ein­an­der noch wei­ter.

Auch von Ama­zon ins­ge­samt hat sie gro­ße Unter­stüt­zung erfah­ren – das sei bei ihren bis­he­ri­gen Arbeit­ge­bern nicht unbe­dingt immer der Fall gewe­sen. „Die Ein­ar­bei­tung an mei­nem neu­en Arbeits­platz ist von Beginn an sehr pro­fes­sio­nell abge­lau­fen“, so Wie­land. Sie habe bei der Ein­stel­lung die­sel­ben moto­ri­schen Stan­dard­tests durch­lau­fen wie alle ande­ren Mit­ar­bei­ter auch.

„Für uns ist es in ers­ter Linie wich­tig, hoch moti­vier­te und leis­tungs­fä­hi­ge Mit­ar­bei­ter zu haben, die sich die Arbeit bei uns zutrau­en“, erklärt Chris­ti­an Mit­tel­stedt aus der Per­so­nal­ab­tei­lung von Ama­zon in Pforz­heim. „Mit unse­ren gehör­lo­sen Mit­ar­bei­tern sind wir des­halb bis­her auch aus­ge­spro­chen zufrie­den und pla­nen, in naher Zukunft wei­te­re ein­zu­stel­len.“ Außer­dem über­le­ge man der­zeit, zusätz­li­che Berei­che im Logis­tik­zen­trum für Gehör­lo­se zu öff­nen. Die Sicher­heit ste­he dabei aller­dings immer an ers­ter Stel­le.

Ama­zon beschäf­tigt an meh­re­ren Stand­or­ten gehör­lo­se Mit­ar­bei­ter, allein im Logis­tik­zen­trum in Wer­ne schon etwa 20. Dort hat man auch schon etwas län­ger Erfah­rung mit gehör­lo­sen Kol­le­gen und vor kur­zem die ers­ten soge­nann­ten Instruk­to­ren aus­ge­bil­det, die bei der Ein­ar­bei­tung unter­stüt­zen. So etwas sei natür­lich auch in Pforz­heim erstre­bens­wert.

Sicher­heits­aspek­te wich­tig

Pforz­heim ist vor allem auf gro­ße Arti­kel spe­zia­li­siert. Das Logis­tik­zen­trum ist eines von 29 inner­halb des euro­päi­schen Logis­tik­netz­werks von Ama­zon, mit dem kon­ti­nu­ier­lich sicher­ge­stellt wer­den soll, dass die Kun­den des Ver­sand­händ­lers immer schnell und zuver­läs­sig belie­fert wer­den. In Pforz­heim gibt es rela­tiv viel Stap­ler­ver­kehr, bedingt durch die zahl­rei­chen grö­ße­ren Pake­te sowie das Hoch­re­gal­la­ger. Berei­che mit viel Fahr­zeug­ver­kehr sind gene­rell etwas schwie­rig für den Ein­satz gehör­lo­ser Mit­ar­bei­ter. Der Bereich „Pack“ dage­gen eig­net sich gut dafür – denn er ist vom Stap­ler­ver­kehr aus­ge­nom­men, so dass die Mit­ar­bei­ter nicht auf Fahr­zeu­ge ach­ten müs­sen.

Auch sonst wird in Pforz­heim gro­ßer Wert dar­auf gelegt, dass die Arbeit für die neu­en gehör­lo­sen Kol­le­gen sicher ist. Vor Beginn der Schicht wer­den sie mit Pagern aus­ge­stat­tet, die über Feu­er­alarm infor­mie­ren. Für die ein­wö­chi­ge Ein­ar­bei­tungs­zeit wur­den Gebär­den­dol­met­scher enga­giert. Und für die Ver­stän­di­gung mit Kol­le­gen hat Ama­zon Pforz­heim ein Tuto­ri­al erstellt, das unter ande­rem die wich­tigs­ten Begrif­fe der Gebär­den­spra­che ver­an­schau­licht. Auch bei Betriebs­ver­samm­lun­gen soll regel­mä­ßig ein Gebär­den­dol­met­scher mit dabei sein.

„In einem nächs­ten Schritt wol­len wir die Kom­mu­ni­ka­ti­on auf dem Shop­f­lo­or wei­ter ver­bes­sern“, sagt Per­so­na­ler Mit­tel­stedt. „Denn zum Bei­spiel die mor­gend­li­chen Mee­tings zu Schicht­be­ginn soll­ten auch von den gehör­lo­sen Mit­ar­bei­tern ver­stan­den wer­den.“

Man habe zwar bereits damit begon­nen, die wesent­li­chen Punk­te schrift­lich auf einer Tafel zu fixie­ren, das kön­ne aber nur der Anfang sein. „Wir den­ken der­zeit dar­über nach, wie wir noch wei­te­re Ver­stän­di­gungs­hilfs­mit­tel ein­set­zen, damit die Inte­gra­ti­on der Kol­le­gen noch wei­ter vor­an­schrei­tet“, berich­tet Mit­tel­stedt. „Denn das för­dert das Arbeits­kli­ma und auch die Leis­tungs­fä­hig­keit natür­lich noch wei­ter.“

Aus- und Wei­ter­bil­dung ermög­li­chen

Kon­kre­te Hil­fe­stel­lung gab es über­dies von­sei­ten des Betriebs­rats. Des­sen Vor­sit­zen­der, Chris­tos Kal­pi­ki­dis, kann nicht nur selbst Gebär­den­spra­che, er kennt auch die Schwie­rig­kei­ten, mit denen Gehör­lo­se oft zu kämp­fen haben: „Mei­ne Cou­si­ne ist selbst gehör­los. Des­halb habe ich durch mei­ne Fami­lie dazu einen enge­ren Bezug.“ Gro­ßen Zuspruch fand die Ein­stel­lung der gehör­lo­sen Mit­ar­bei­ter in der Beleg­schaft. Kal­pi­ki­dis: „Vie­le haben durch ihre Arbeit hier bei uns eine zwei­te beruf­li­che Chan­ce erhal­ten und fin­den es toll, dass wir das nun auch Gehör­lo­sen bie­ten.“

Bei allem Bemü­hen von bei­den Sei­ten – ein The­ma liegt Mela­nie Wie­land dann doch noch am Her­zen. „Es wäre natür­lich schön, wenn uns als gehör­lo­sen Mit­ar­bei­tern wei­te­re Auf­stiegs­chan­cen ein­ge­räumt wür­den“, so ihr Wunsch. „Ich weiß, das ist nicht so leicht – aber ich den­ke, das wird sich noch ent­wi­ckeln.“ Sie wür­de gern Aus- und Wei­ter­bil­dungs­kur­se besu­chen und intern vor­an­kom­men, ob mit einem Dol­met­scher oder mit Instruk­to­ren an ihrer Sei­te. An ande­ren Ama­zon-Stand­or­ten ist man da bereits deut­lich wei­ter. Bei Ama­zon Pforz­heim wird aktu­ell über­legt, zusätz­lich zu den Deutsch- und Eng­lisch­kur­sen die Gebär­den­spra­che in das Wei­ter­bil­dungs­pro­gramm auf­zu­neh­men. Das wür­de auf jeden Fall die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Hören­den und Gehör­lo­sen noch wei­ter ver­bes­sern.