Tech­no­lo­gie

Die­ser Truck fährt bei­na­he von allein…

Von Sven Benühr

Der Anblick ist alar­mie­rend: Ein 40-Ton­ner rollt mit 80 km/h über die A14 bei Mag­de­burg, und der Fah­rer lässt ein­fach das Lenk­rad los, um irgend­et­was auf der Tas­ta­tur sei­nes Tablet-PC ein­zu­ge­ben. Was nor­ma­ler­wei­se bei ande­ren Ver­kehrs­teil­neh­mern alle Alarm­glo­cken klin­geln lässt und eigent­lich sofort die Auto­bahn­po­li­zei auf den Plan rufen soll­te, war ges­tern erlaubt und gewünscht. Schließ­lich woll­ten die For­scher des LKW-Her­stel­lers Mer­ce­des-Benz ihren jüngs­ten Wurf unter rea­len Bedin­gun­gen vor­stel­len: Die Rede ist vom “High­way Pilot”, eine kom­ple­xe Auto­pi­lot-Funk­ti­on für LKW. Damit kann das Fahr­zeug kom­plett auto­nom, also ohne Zutun des Fah­rers, unter­wegs sein.

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Und wie funk­tio­niert die­se Lösung? Im Grun­de genom­men haben die Ent­wick­ler nichts ande­res getan als die Funk­tio­na­li­tä­ten der bestehen­den Assis­tenz- und Tele­ma­tik­sys­te­me im LKW zu ergän­zen und daten­tech­nisch mit­ein­an­der zu ver­knüp­fen. Dazu gehö­ren der Abstands­hal­te-Assis­tent, der Stop-and-Go-Assis­tent, der Not­brems-Assis­tent “Acti­ve Bra­ke Assist 3”, der Spur­hal­te-Assis­tent sowie die drei­di­men­sio­na­len Kar­ten für den vor­aus­schau­en­den Tem­po­ma­ten, bei Mer­ce­des-Benz Pre­dic­ti­ve Power­train Con­trol genannt. Dane­ben ist der Future Truck 2015 auch mit der gan­zen Palet­te der Fleet­board-Tele­ma­tik­pro­duk­te vom Fahr­zeug­ma­nage­ment über das Trans­port­ma­nage­ment bis hin zu App-Lösun­gen für Fah­rer und Unter­neh­mer aus­ge­stat­tet.

Herz­stück ist die Kom­mu­ni­ka­ti­on

Doch das ist nur eine Hälf­te des Kon­zepts. Auf der ande­ren Sei­te ist der Last­zug über eine spe­zi­el­le WLAN-Ver­bin­dung sowohl mit ande­ren Fahr­zeu­gen auf sei­ner Stre­cke als auch mit den Ver­kehrs­leit­stel­len ver­bun­den — Stich­wort: Intel­li­gen­te Trans­port­sys­te­me. Die­ser Gedan­ke ist aller­dings nicht ganz neu, immer wie­der haben sich Wis­sen­schaft­ler und visio­nä­re Inge­nieu­re damit beschäf­tigt, wie der Ver­kehr auf den Stra­ßen effi­zi­en­ter und vor allem siche­rer wer­den kann. Die ent­schei­den­den Impul­se brach­ten die enor­men Fort­schrit­te in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­nik. Was Mit­te der 2000er Jah­re, als die Ideen zum The­ma Vehic­le-to-vehic­le-Kom­mu­ni­ka­ti­on erst­mals tie­fer­ge­hend dis­ku­tiert wur­den, noch als zu teu­er oder tech­nisch nicht mach­bar erschien, gehört heu­te in den meis­ten Haus­hal­ten — und mitt­ler­wei­le in immer mehr neu­en PKW-Model­len — zum Stan­dard: Leis­tungs­fä­hi­ge WLAN-Sys­te­me (Draht­lo­se Com­pu­ter-Netz­wer­ke) sind mitt­ler­wei­le in der Lage, Ent­fer­nun­gen von bis zu 500 m zu über­brü­cken und vor allem wesent­lich schnel­ler Daten zu über­mit­teln.

Was bringt die Kom­mu­ni­ka­ti­on der Fahr­zeu­ge unter­ein­an­der? In ers­ter Line soll vor allem der Fah­rer durch den Aus­tausch der Infor­ma­tio­nen in Echt­zeit ent­las­tet wer­den. Dabei läuft aber ein Groß­teil der Pro­zes­se von ihm völ­lig unbe­merkt ab. Das ist nach­voll­zieh­bar, schließ­lich set­zen die Sys­te­me in den ein­zel­nen Fahr­zeu­gen im Nor­mal­fall jede Sekun­de eine Ist-Mel­dung ab. Ändert sich aller­dings der Ver­kehrs­fluss deut­lich, sei es weil eine Bau­stel­le oder ein Gefah­ren­punkt vor­aus liegt oder das Ver­kehrs­auf­kom­men stark ansteigt, erhöht sich die Mel­dungs­fre­quenz um den Fak­tor zehn. Die­se Infor­ma­ti­ons­fül­le wür­de den Men­schen auf Dau­er ein­fach über­for­dern. Zudem kön­nen die leis­tungs­fä­hi­gen Onboard-Com­pu­ter­sys­te­me schnel­ler reagie­ren, als der Mensch.

Frei­hei­ten am Steu­er

Kri­ti­ker mögen ein­wen­den, dass der LKW-Fah­rer durch die Sys­te­me des Future Truck 2025 weit­ge­hend von sei­nen ori­gi­nä­ren Auf­ga­ben ent­bun­den und zum Erfül­lungs­ge­hil­fen degra­diert wird. Das sieht Klaus Ruff, Lei­ter Prä­ven­ti­on bei der Berufs­ge­nos­sen­schaft für Trans­port und Ver­kehrs­wirt­schaft (BG Ver­kehr), anders: “Der Arbeits­all­tag der LKW-Fah­rer ist anspruchs­voll und anstren­gend: Dau­er­auf­merk­sam­keits­druck und Mono­to­nie auf lan­gen Fahr­stre­cken, das oft unüber­sicht­li­che und dich­te Ver­kehrs­ge­sche­hen, der Ver­kehrs­lärm, Tag- und Nacht­schich­ten sind nur eini­ge Stich­wor­te.”

Moder­ne Assis­tenz­sys­te­me wür­den den Fah­rer ent­las­ten und somit zu mehr Ver­kehrs­si­cher­heit bei­tra­gen, so Ruff wei­ter. Die Zahl der bei LKW-Unfäl­len getö­te­ten oder schwer ver­letz­ten Men­schen sei dank der bis­her ent­wi­ckel­ten Lösun­gen auf knapp die Hälf­te gesun­ken — dem ver­mehr­ten Ver­kehrs­auf­kom­men und einer deut­lich gestie­ge­nen Trans­port­leis­tung im Güter­kraft­ver­kehr zum Trotz.

Attrak­ti­ve­res Berufs­bild

Doch der Ein­satz auto­nom fah­ren­der Last­zü­ge wür­de nicht nur die Ver­kehrs­si­cher­heit wei­ter erhö­hen, auch das Berufs­bild des Fah­rers könn­te sich dadurch ändern. “Der Fah­rer gewinnt mehr Zeit für ande­re Beschäf­ti­gun­gen als das unmit­tel­ba­re Steu­ern des LKW: Büro­ar­bei­ten, sozia­le Inter­ak­ti­on, Ent­span­nungs­pha­sen. Das auto­no­me Fah­ren bie­tet dem Fah­rer mehr Abwechs­lung und ist weni­ger belas­tend”, erklärt Ruff. Denk­bar wäre dar­über hin­aus zum Bei­spiel den Fah­rer vom rei­nen Trans­por­teur zum Trans­port­ma­na­ger mit deut­lich mehr Ver­ant­wor­tung auf­zu­wer­ten und den Beruf so attrak­ti­ver zu gestal­ten.

Und wie sehen es die Logis­tik­ex­per­ten? “Künf­tig ist der Blick auf das Fahr­zeug in den Gesamt­zu­sam­men­hän­gen Logis­tik­ket­te und Ver­kehrs­sys­tem wich­tig. Die zen­tra­len Aspek­te in die­sen Sys­te­men lau­ten Daten­ver­ar­bei­tung und Kom­mu­ni­ka­ti­on, Navi­ga­ti­on und Inter­ak­ti­on von Fahr­zeu­gen” erklärt zum Bei­spiel Prof. Uwe Clau­sen, Insti­tuts­lei­ter am Fraun­ho­fer Insti­tut für Mate­ri­al­fluss und Logis­tik (IML). Die Effi­zi­enz­po­ten­zia­le der Zukunft lägen nicht im Fahr­zeug allein, son­dern im Zusam­men­spiel von Fahr­zeu­gen, Infra­struk­tur und Logis­tik­sys­tem.

Foto: Daim­ler