Unse­re Stadt

Wie sich Ber­lin für den Lebens­mit­tel-Online­han­del fit macht…

Ein stei­gen­der Lie­fer­ver­kehr ist gene­rell ver­schmerz­bar. Aber Ber­lin braucht neue Ver­kehrs­kon­zep­te für Lebens­mit­tel­trans­por­te

Etwa ein Drit­tel des Ber­li­ner Ver­kehrs­auf­kom­mens ent­steht im Wirt­schafts­ver­kehr. Davon ent­fal­len etwa 90 Pro­zent auf Fahr­zeu­ge bis ein­schließ­lich 3,5 t Nutz­last. Sie sind für das Bau­ge­wer­be, den Han­del und zuneh­mend auch den boo­men­den E‑Commerce mit Lebens­mit­teln unter­wegs. Gera­de die Haupt­stadt­re­gi­on über­nimmt in die­sem noch jun­gen Geschäfts­feld des Online­han­dels eine Vor­rei­ter­rol­le.

„Für die Infra­struk­tur in Ber­lin mit einem Stra­ßen­netz von 5400 km ist das ver­schmerz­bar“, sagt Juli­us Men­ge. Er ist bei der Ber­li­ner Senats­ver­wal­tung für Stadt und Umwelt stra­te­gisch für den Wirt­schafts­ver­kehr ver­ant­wort­lich. Selbst wenn es im Vor­feld von Fei­er­ta­gen teil­wei­se zu einer Ver­dopp­lung der Online­be­stel­lun­gen kommt, sei­en die Aus­wir­kun­gen auf den Ber­li­ner Ver­kehr ver­kraft­bar. In der Regel fah­ren die Lie­fer­fahr­zeu­ge in die­sen Hoch­pha­sen eine zusätz­li­che drit­te Tour, die sich im Ver­kehrs­auf­kom­men in einer drit­ten Wel­le spä­ter am Tag wider­spie­gelt.

Solan­ge die Fahr­zeu­ge rol­len, sieht Men­ge aktu­ell kei­nen Hand­lungs­be­darf. Die Pro­ble­me ent­ste­hen viel­mehr wäh­rend der Stand­zei­ten. Dann wer­den Bus­hal­te­stel­len eigen­mäch­tig zu Lade­zo­nen umfunk­tio­niert, zum Ent­la­den in zwei­ter Rei­he oder auf Rad­we­gen geparkt sowie Zu- und Aus­fahr­ten ver­stellt. Durch die ver­gleichs­wei­se gering­fü­gi­ge Ahn­dung erscheint der Hand­lungs­druck für die Unter­neh­men noch nicht groß genug, um gemein­sam mit der Stadt nach Alter­na­ti­ven zu suchen. In New York bei­spiels­wei­se sum­mier­ten sich die Ord­nungs­gel­der, die Kep-Diens­te jähr­lich wegen Falsch­par­kens zahl­ten, zeit­wei­se auf zwei­stel­li­ge Mil­lio­nen-USD-Beträ­ge.

Lie­fer­zei­ten ver­än­dern

Stra­fen lösen das Pro­blem der begrenz­ten Park­flä­chen jedoch nur bedingt. Eine kon­zep­tio­nel­le Her­an­ge­hens­wei­se ist für Men­ge, gemein­sam mit den Unter­neh­men eine Ver­än­de­rung der Lie­fer­zei­ten her­bei­zu­füh­ren. Eine stär­ke­re Ver­schie­bung von Aus­lie­fe­run­gen in die Rand­zei­ten, bei­spiels­wei­se den spä­ten Nach­mit­tag, wür­de dem End­kon­su­men­ten ent­ge­gen­kom­men und die Ver­kehrs­in­fra­struk­tur ent­las­ten. Auch Las­ten­rä­der sind gera­de für den Innen­stadt­kern eine gute Ergän­zung. Die­se Kon­zep­te brau­chen einen zen­tra­len Lage­r­ort für die Pake­te, aus dem sich die Fahr­rad­ku­rie­re bedie­nen. Sol­chen Sze­na­ri­en, die im Ein­zel­fall zu tes­ten sind, steht Men­ge auf­ge­schlos­sen gegen­über.

Ein beson­de­res Augen­merk legt der Ver­kehrs­pla­ner auf die Ent­wick­lung des Online-Lebens­mit­tel­han­dels. „Wenn die­ser sich ver­stärkt durch­setzt, hat es Aus­wir­kun­gen auf den Ver­kehr“, erwar­tet er. Sol­che Geschäfts­mo­del­le erfor­dern deut­lich höhe­re Lie­fer­fre­quen­zen als im Kon­sum­gü­ter­be­reich.

Zudem ist die Aus­las­tung der Fahr­zeu­ge eine ande­re. Wäh­rend ein Kep-Dienst bis zu 150 Sen­dun­gen gela­den hat und sein Fahr­zeug als rol­len­des Lager benut­zen kann, las­sen sich mit einer Lebens­mit­tel­tour im Durch­schnitt nur 10 bis 15 Kon­su­men­ten belie­fern.

Ein kurz­fris­ti­ger Ver­kehrs­kol­laps ist aller­dings nicht zu erwar­ten. Heu­te liegt der Umsatz­an­teil des Online-Lebens­mit­tel­han­dels am Gesamt­markt bei unter 1 Pro­zent. Das will die Bran­che ändern, die weiß, wel­ches Poten­zi­al in die­ser Waren­grup­pe steckt. Gut 40 Pro­zent der Kauf­kraft in Ber­lin ent­fal­len auf Nah­rungs­mit­tel, Geträn­ke und Tabak­wa­ren. Die E‑Com­mer­ce-Best­sel­ler wie Bücher, Beklei­dung, Schu­he und Unter­hal­tungs­elek­tro­nik errei­chen zusam­men­ge­rech­net gera­de mal eine Kauf­kraft von 20 Pro­zent in Ber­lin.

Alle tes­ten in der Haupt­stadt

Dem­entspre­chend aktiv sind die Lebens­mit­tel­kon­zer­ne, für die­ses Seg­ment eine Online­nach­fra­ge zu gene­rie­ren. Ber­lin mit sei­nen 3,5 Mio. Ein­woh­nern ist eine belieb­te Modell­re­gi­on. Nam­haf­te Anbie­ter, ange­fan­gen bei Rewe über Kai­sers und Ede­ka bis hin zu Ally­ouneed, tes­ten ihre Kon­zep­te in der Haupt­stadt.

Als ers­te Aus­wir­kung regis­triert die Senats­ver­wal­tung ein stei­gen­des Inter­es­se der Lebens­mit­tel­händ­ler an inte­grier­ten Stand­or­ten, die so dicht wie mög­lich an den Kon­su­men­ten lie­gen. Eine zuneh­men­de Flä­chen­kon­kur­renz von Gewer­be und Woh­nen sei spür­bar, bestä­tigt Men­ge. Da es sich in der Regel um Start-ups oder Pilot­pro­jek­te han­delt, spielt neben den spe­zi­fi­schen Anfor­de­run­gen an die Immo­bi­lie bezüg­lich des Waren­um­schlags auch der Miet- oder Kauf­preis eine Rol­le. Daher kommt in ers­ter Linie eine Umnut­zung von Bestands­im­mo­bi­li­en infra­ge.

Auch wenn aus ver­kehrs­pla­ne­ri­scher Per­spek­ti­ve mit dem Fri­sche-E-Com­mer­ce eine gro­ße Her­aus­for­de­rung auf Ber­lin zukom­men könn­te, begrüßt Men­ge Ent­wick­lun­gen in die­se Rich­tung: „Der Online-Lebens­mit­tel­han­del ist aus Sicht der Stadt auch ein Ansatz, der Men­schen unter­stützt, län­ger ein selbst­be­stimm­tes Leben zu füh­ren.“

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