Der Tag der Logistik lässt tief und weit blicken…
Gemeinsamkeit macht stark. Am 21. April 2016 laden Nestlé Deutschland und der Logistikdienstleister Ansorge ins Distributionszentrum Singen (Hohentwiel) im Süden Baden-Württembergs ein. An fünf Terminen bietet Niederlassungsleiter Michael Vieth jeweils zweistündige Führungen durch das vollautomatische Hochregellager an. In der Logistikanlage ist Platz für bis zu 45.000 Europaletten. Die Besucher sollen möglichst viele Details über Wareneingang, Disposition, Kommissionierung, Warenausgang und Distribution erfahren, sagt Vieth. „Wir zeigen Studenten, Logistikern und anderen Interessenten aus dem regionalen Umfeld, wie unsere Prozesse auf Basis von individuell gestaltbaren Lieferoptionen sowie Geschwindigkeit, Sicherheit und Transparenz für Wettbewerbsvorteile sorgen“, fügt Nils Menze, Distributionschef von Nestlé Deutschland, hinzu. Außerdem will der Lebensmittelkonzern über Verlagerungen auf die Schiene, Marktchancen der Elektromobilität sowie weitere Nachhaltigkeitsthemen informieren, die in den vergangenen Jahren am Standort Singen realisiert worden sind. Im Gegenzug erhofft sich Menze Anregungen für weitere Verbesserungen.
Für Nestlé und seinen Logistikdienstleister ist der 21. April 2016 eine Premiere. Beide nehmen zum ersten Mal am Tag der Logistik teil. An diesem Aktionstag öffnen Unternehmen, Bildungseinrichtungen sowie Branchenorganisationen ihre Türen für die Öffentlichkeit.
Gezielt hat Nestlé Singen ausgewählt. In der Industriestadt hat der Name des Konzerns wegen des Tochterunternehmens Maggi, das hier 1897 gegründet wurde, einen besonders guten Klang. Auf vielfältige Synergieeffekte darf deshalb Ansorge Logistik hoffen. Das Allgäuer Unternehmen hat an seinem knapp 2 km vom Maggi-Werk entfernten Standort die komplette Logistik der Nestlé-Tochter inklusive der Entsorgung übernommen.
Mittelstand ist kaum vertreten
An Newcomern wie Nestlé ist die Bundesvereinigung Logistik (BVL) sehr interessiert. Denn die Initiatorin und Koordinatorin des Aktionstages stemmt sich gegen ein nachlassendes Interesse von Industrie und Handel. Im Vorjahr hatten die Verlader nur noch jede dritte Veranstaltung ausgerichtet. Dieses Jahr wird die Quote vermutlich noch geringer ausfallen. Vor allem Mittelständler machen sich weiterhin rar. Zu den Ausnahmen zählt die Roma KG. In der Rostocker Niederlassung informiert der Hersteller von Rollladen- und Sonnenschutzsystemen über seine logistischen Abläufe. Ansonsten engagieren sich vor allem Unternehmen aus ohnehin logistikaffinen Branchen. Im oberfränkischen Coburg lädt der Wellpappenhersteller Schumacher Packaging ein. Vergleichsweise gut vertreten sind auch mittelständische Autozulieferer wie der Filterhersteller Mann + Hummel mit seinem Werk in Speyer (Rheinland-Pfalz) oder der Schließsystemspezialist Kiekert in Heiligenhaus (Nordrhein-Westfalen).
Trotzdem kann die BVL nicht zufrieden sein. Für den Vorsitzenden des Vorstands, Raimund Klinkner, müssten die Unternehmen aus Industrie und Handel mindestens jedes zweite Event ausrichten. „Von 240 Mrd. EUR Logistikumsatz in Deutschland entfallen rund 50 Prozent auf die Industrie und den Handel“, gibt der frühere Vorstandschef des Münchner Herstellers Knorr-Bremse zu bedenken. „Diese Quote sollte sich auch in den Angeboten am Tag der Logistik widerspiegeln“, betont er.
Schwerpunkt bleibt Deutschland
Mit rund 38.500 Besuchern, die im vergangenen Jahr auf 449 Veranstaltungen von rund 650 Firmen und Institutionen gezählt worden sind, hat der Aktionstag sein Potenzial sicher noch nicht ausgeschöpft. Zwar vermeldete die BVL 2015 eine Rekordbeteiligung. Demnach hat sich die Besucherzahl seit 2008 fast verdoppelt (siehe Grafik). Doch ist zumindest ein kleiner Teil des Anstiegs mit der geografischen Ausdehnung zu erklären. Den ersten Tag der Logistik organisierte die BVL im Schulterschluss mit der BVL Österreich. 2015 gab es bereits Veranstaltungen in 19 Ländern. Aktuell entfallen rund 80 Prozent der gemeldeten Veranstaltungen auf Deutschland und ungefähr 5 Prozent auf Österreich.
Höhere Besucherzahlen sind jedoch ohne ein stärkeres Engagement der attraktiven und meist wesentlich prominenteren Unternehmen aus Industrie und Handel kaum möglich. „Logistik ist für diese Unternehmen ein erfolgsentscheidender Faktor“, sagt Klinkner und ergänzt: „Auch die Verlader sollten deshalb gegenüber potenziellen Arbeitnehmern, der Politik und Investoren für diesen Wirtschaftsbereich werben.“
Auf ein paar alte Bekannte aus der Industrie kann sich die BVL verlassen. Auch 2016 sind der Autobauer Audi, der Hausgerätehersteller BSH, der Medizintechnik- und Pharmakonzern B. Braun Melsungen, der Medizinproduktehersteller Paul Hartmann sowie der Lebensmittelkonzern Mars wieder mit dabei. Paul Hartmann zum Beispiel bietet eine Führung durch das Logistikzentrum nahe der Zentrale in Heidenheim an und will hierbei „Tätigkeiten und Techniken der Intralogistik erlebbar machen“, wie Deutschland-Logistikchef Andreas Zielke sagt. Das Kalkül, damit auch das Image der hauseigenen Logistik zu polieren, scheint aufzugehen. Paul Hartmann hat 2013 mit einem Informationstag für Studenten erstmals teilgenommen und nur gute Erfahrungen gesammelt. „Wir wollen mit der BVL zusätzliche Studenten und Interessenten gewinnen“, fügt Zielke hinzu.
Mit der Drogeriemarktkette DM, der Parfümeriekette Douglas, dem Möbelkonzern Ikea und dem Tankstellen- und Kioskversorger Lekkerland sind dieses Jahr einmal mehr namhafte Unternehmen aus dem Groß- und Einzelhandel mit von der Partie. Vor allem die schwedische Möbelkette engagiert sich stark. Gleich vier Ikea-Standorte in Berlin (zwei), Hamburg und Leipzig laden ein. Seit 2015 ist eine Betriebsführung unter dem Motto „Hinter den Kulissen“ Kern jeder Veranstaltung.
Lekkerland ist jedes Jahr mit einem anderen Standort vertreten. Dieses Mal nimmt das Logistikzentrum in Großbeeren bei Berlin teil. „Wir wollen in jeder Region als attraktiver Arbeitgeber für angehende Lagerlogistiker und Berufskraftfahrer auftreten“, stellt Supply-Chain-Chef Kay Schiebur die Ausbildung in den bundesweit 15 Logistikzentren in den Fokus.
Mit Hornbach ist dieses Jahr auch ein prominenter Newcomer aus dem Handel dabei. Die Baumarktkette will mit ihrer Pionierveranstaltung im pfälzischen Essingen ebenfalls dem drohenden Nachwuchsmangel Paroli bieten. „Wir wenden uns ausdrücklich auch an berufliche Quereinsteiger“, sagt ein Unternehmenssprecher.
Fotos: BVL