Beruf und Reisen verbinden? Scheint als Pilot perfekt zu funktionieren. Frachtpilot Christoph Hofmann zeigt, dass dem nicht so ist – erst recht nicht in Corona-Zeiten.
Von Manfred Schulze
Es ist für viele der Beruf der Träume: Über den Wolken, am Steuer eines 300 Tonnen schweren Hightech-Flugzeugs. Schicke Uniform, die die Blicke auf sich zieht. Morgens in Schanghai, abends in San Francisco, während am nächsten Morgen der Weiterflug nach London mit Zwischenstopp in Chicago auf dem Plan steht. Reisen als Beruf. Abgestiegen wird natürlich nur im Fünfsternehotel, wo der Portier nett den Hut hebt und sich das Personal auf den silbernen Rollkoffer stürzt. „Herzlich willkommen, Herr Kapitän, schön, Sie wieder bei uns zu haben!“
Christoph Hofmann könnte diese Rolle spielen, wenn es sie denn so gäbe. Der 40-jährige Pilot von European Air Transport (EAT), einer Tochtergesellschaft des Logistikriesen DHL, hat eine sportliche Figur, freundliche Augen und immerhin vier goldene Streifen auf der Uniformjacke. Sie deuten darauf hin, dass er in der Hierarchie der Piloten ziemlich weit gekommen ist.
Mit seinem A330 hat der „Director Flight Operation“ bei EAT schon die Welt kreuz und quer überflogen. Es ist fast leichter, die Regionen aufzuzählen, in denen er noch nicht war. „Das ist Arbeitsalltag für uns Piloten – auch wenn es natürlich ein paar Ziele gibt, wo wir uns auch mal über einen Tag Aufenthalt freuen. Letztlich ist das, was wir machen, aber ganz weit weg vom Tourismus“, sagt er. Schließlich sind die Personalkosten für Airlines bei Piloten nicht unerheblich. Die Flugpläne werden entsprechend der Slots sowie den vorgeschriebenen Ruhezeiten und nicht nach den Sightseeing-Möglichkeiten getaktet. Und ein Pilot arbeitet natürlich auch nicht nur während der Stunden im Cockpit, sondern muss jeden Flug auch vorbereiten.
Corona zerstört Hub-Konzept
Normalität statt Jetset lautet also die wahre Story. Das galt allerdings nur bis zum Februar 2020. Auf einer Urlaubsreise durch die USA begann ein damals zunächst rätselhaftes, bald darauf Ängste auslösendes Virus, für Hofmann alles auszuhebeln, was bis dahin zu seinen scheinbar unumstößlichen Regeln und Abläufen gehörte. „Wir haben zuerst viele Menschen mit Gesichtsmasken gesehen. Dann die Frage bei der Einreise: ‚Waren Sie in den letzten Wochen in China?‘ Da ahnte ich, die Sache ist wohl ziemlich ernst“, erinnert sich der Kapitän, der es mit seiner Familie damals gerade noch vor dem Lockdown nach Hause schaffte.
Während rund um die Welt die Fabriken schlossen und Menschen, wenn überhaupt, im Homeoffice arbeiteten, flog Hofmann wie alle Kollegen der Frachtsparte weiter. Sie wurden täglich getestet, aber die PCR-Resultate lagen frühestens nach einem Tag vor. So blieb immer die Gefahr, dass die Reise für 14 Tage im Quarantänehotel endete. „Aber immerhin, wir hatten nach ein paar wenigen Tagen der Verunsicherung bald einen steilen Anstieg des Frachtaufkommens. Während die ansonsten besonders stolzen Passagier-Piloten in Kurzarbeit mussten, flog bei uns alles, was dienstfähig war“, sagt Hofmann. Doch es war kein Zuckerlecken, sondern ein täglich neu zu justierender Notbetrieb.
Als die erste Welle auf ihren Höhepunkt zusteuerte, musste das generelle Hub-Konzept praktisch völlig umgekrempelt werden. Normalerweise sind die Frachter des europäischen Netzwerks von DHL auf ihren Gateways stationiert, wo auch meist die Piloten leben. Doch um eine Mindestsicherheit gegen Corona-Ausfälle zu haben, wurden nun alle Jets nach Leipzig geholt und starteten dann von dort aus zu den Gateways, um hier am Abend die Fracht zu laden und zum Hub zu fliegen. Das gleiche dann auf dem Rückweg, der ebenfalls einen zusätzlichen Flug wieder nach Leipzig erforderte. Da waren die Kollegen aus Skandinavien, der Türkei oder von der Iberischen Halbinsel dann lange nicht daheim, sondern lebten im eigens dafür angemieteten Pentahotel in Leipzig.
Task-Force „Health and Safety“
Zudem wurden viel mehr Crews als sonst benötigt. Dazu kam, dass Verhältnisse wie etwa in Bergamo, wo das Virus in der Anfangsphase sehr viele Menschen tötete, natürlich besonders problematisch waren. DHL betreibt hier einen Regio-Hub, hat dort also mehrere Maschinen täglich im Einsatz. „Natürlich waren die Hotels zu, es war auch kaum Verpflegung zu bekommen“, sagt Hofmann über diese Zeit. In den Cockpits, in denen sich sonst die Gespräche vor allem um die Fliegerei oder um Privates drehen, ging es plötzlich vor allem um Corona und das, was die Piloten in den diversen Ländern erlebten.
Hofmann hat damals mit der operativen Leitung eine Task-Force mit dem Namen „Health and Safety“ aufgebaut, die sich um alle organisatorischen Fragen kümmerte und auch tägliche Corona-Meetings organisierte. Dazu gehörten die Beantwortung solch praktischer Fragen wie der nach Hotels und die Planung mit den von Land zu Land unterschiedlichen Einreisebeschränkungen und Quarantänebestimmungen.
Letztere waren in Israel besonders rigide, wo sogar bewaffnete Posten im Quarantänehotel patrouillierten. Hingegen hatten die USA, die sich ja vom internationalen Reiseverkehr weitgehend abgeschottet hatten, für Frachtflug-Crews eine Sonderregel geschaffen, die eine gewisse Freizügigkeit für negativ Getestete erlaubte: „Wir konnten hier ganz normal sogar in Restaurants gehen“, sagt Hofmann. Das sei schon ein etwas merkwürdiges Gefühl gewesen, weil ja überall sonst der Lockdown das Leben einschränkte. Dazu kam die Sorge, sich dann doch anzustecken und das Virus mit nach Hause, bis in die Familie, zu bringen.
Das Wissen, dass Corona noch immer sehr infektiös ist, und die damit verbundene Befürchtung, dass durch Quarantäneregelungen Personal ausfällt, ist auch im Frühjahr 2022 noch groß bei DHL. Am Eingang vor dem Betreten der Firmengebäude muss neben dem Impfnachweis auch ein aktueller Test vorgelegt werden. Maskenpflicht in den Gebäuden, Desinfektionshinweise an allen Ecken – es ist eine sensible Infrastruktur. „Wir waren einerseits natürlich immer selbst Betroffene in der Pandemie. Aber wir waren es auch, die immer dringliche Güter transportiert haben, bis hin zu den Impfstoffen – das macht auch ein wenig stolz“, sagt der Chefpilot.
Keine Frage, das Ansehen der Frachtpiloten hat in den letzten zwei Jahren in der Luftfahrt einen neuen Stellenwert bekommen, was inzwischen auch beim Recruiting zu spüren ist. In den Boomzeiten der Luftfahrt war es mitunter schwieriger, fliegendes Personal zu finden, wenn eine Airline schnell wachsen musste. Inzwischen aber kämen auch viele Piloten aus der Sparte der Verkehrsflieger und wollten hier arbeiten, berichtet Hofmann. Touristische Möglichkeiten haben auch sie nur selten.