Alvaro Sousa baut Dieselmotoren von Bestandsfahrzeugen in Wasserstoff-Verbrennungsmotoren um und hat passende Services mitentwickelt.
Von Kertin Kloss
Für das Interview hat Alvaro Sousa seine hinter Bäumen versteckte Terrasse im nordportugiesischen Porto ausgesucht. Aber dann ist die Online-Verbindung draußen zu schlecht, und er muss sich drinnen vor den Rechner setzen. Der 46-Jährige ist Chief Technology Officer beim Münchner Start-up Keyou, das innovative Wasserstofftechnologien für klimaneutrale Nutzfahrzeuge entwickelt. Jobbedingt pendelt der Portugiese zwischen seiner Heimat und Deutschland allerdings mit dem konventionellen Flugzeug. Wie passt das zusammen mit seinem Engagement für nachhaltige Mobilität? „Zu Hause fahre ich Fahrrad und gehe viel zu Fuß, in München nutze ich den öffentlichen Personennahverkehr“, sagt er. Aber er besitze auch ein Auto mit herkömmlichem Verbrennermotor, das er „manchmal“ für seine Tochter brauche.
Vom Sportwagen zum Lkw
Wenn klimaneutrale Mobilität schon im Alltag eine Gratwanderung ist, wie kompliziert muss die grüne Transformation dann erst für Unternehmen mit Diesel-Lkw-Flotte sein? „Klimaschutzziele im Nutzfahrzeugsektor lassen sich nur mit einer Lösung für Bestandsfahrzeuge erreichen“, stellt Sousa klar. Realitätsferne Innovationen sind nicht sein Ding. Stattdessen will er Fuhrparkbetreiber nicht zwingen, ihr bewährtes Geschäftsmodell aufzugeben. Alvaro Sousa ist ein konservativer Erfinder.
Maschinenbau habe er studiert, weil er ein „Motorenliebhaber“ sei, sagt er. Unter seinen ersten Wörtern als Kleinkind seien Automarken gewesen, erzählten ihm seine Eltern. Aber wenn er als Schüler auf den Bus wartete, störten ihn die Abgase. „Ich war an Lösungen interessiert, um Dinge zu verbessern“, bringt er eine früh herangereifte Selbstverpflichtung auf den Punkt, die er seit 2015 bei Keyou umsetzt. Dort hat er mit seinem Team das sogenannte „Keyou-inside-System“ entwickelt, mit dem sich Dieselmotoren in emissionsfreie Wasserstoffantriebe umwandeln lassen.
Dröhnende Motoren brachten seinen Forschergeist auf die Spur. Mit dem österreichischen Start-up Alset Global stattete er 2013 einen Aston-Martin-Sportwagen mit einem Zweikraftstoffsystem für Wasserstoff und Benzin aus. Damit erreichte der legendäre James-Bond-Flitzer während eines 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburgring 255 Stundenkilometer. Lerneffekt des schnellen Abenteuers: Reichweite, Robustheit und Betankungszeit entscheiden über den Erfolg von Wasserstoffmobilität. Diese Erkenntnis hat Sousa auf Lkw übertragen, um das Klima zu retten.
Während Mitbewerber an Elektro-Lkw und Brennstoffzellen arbeiten, die Wasserstoff in Strom umwandeln, entwickelt Keyou einen Wasserstoff-Verbrennungsmotor, der weitgehend in ein mechanisches Standardgetriebe integriert wird. Der Tre BEV des US-Herstellers Nikola Corporation hat beispielsweise eine elektrisch angetriebene Hinterachse, die sowohl aus Batterien als auch aus einer Brennstoffzelle mit elektrischer Energie versorgt werden kann. Sousa hält diese Lösung noch nicht für alltagstauglich: „Die Batterie ist zu groß und zu schwer, sodass die Reichweite nicht ausreicht, um lange Strecken auf der Autobahn zurückzulegen.“ Zudem sei die Brennstoffzelle teuer, baue sich zu schnell ab, könne „die erforderliche Dynamik“ nicht bewältigen und benötige viel Kühlleistung.
So wenige Komponenten wie möglich verändern
Als Alternative präsentierte Keyou im September auf der IAA 2022 einen 18-Tonner von Actros mit eigenentwickelter Wasserstoff-Motortechnologie. „Der leistungsstarke Lkw hat über 500 Kilometer Reichweite, bleibt unter dem EU-CO2-Grenzwert und erfüllt die Euro-6-Abgasnorm ohne kostspielige Nachbehandlung“, erklärt Sousa. Ende 2023 soll die Feldtestphase starten.
„Wir nutzen so viel Technologie wie möglich vom Basis-Motor, nur wenige Komponenten müssen geändert werden“, sagt der Portugiese. Damit ein Dieselmotor mit Wasserstoff betrieben werden kann, integriert Keyou ein neues Kraftstoffversorgungssystem, passt das Luftaufladesystem an und fügt ein Zünd- sowie ein Steuersystem mit integrierter Betriebssoftware hinzu. Darüber hinaus bietet das Start-up neben der Motorenumrüstung auch mit einem Servicepaket Unterstützung bei der Wasserstoffnutzung an. Diese Komplettlösung ist ganz im Sinne von Sousas Erfindergeist.
Zusammenarbeit von Industrie und Forschung
Nach seinem Studium fing er im BMW-Forschungszentrum in München an, wo er die erste Demonstrationsflotte von Vorserienfahrzeugen mit einem Wasserstoff-Verbrennungsmotor mitentwickelte. Mit den Jahren wuchs seine Wasserstofferfahrung, unter anderem mit Speichersystemen und der Brennstoffzellen-Technologie. In Kalifornien (USA) leitete er das Technik-Supportteam für den ersten in Serie produzierten BMW mit Wasserstoff-Verbrennungsantrieb. Anschließend bekam er einen Lehrauftrag an der Universität Porto zum Thema „Saubere Fahrzeug- und Motor-Technologien“. Wie beurteilt er das Forschungsklima in unterschiedlichen Ländern? Im Vergleich zum innovationsfreudigen Kalifornien findet er Deutschland zwar konservativer, aber ihm gefällt „die gute Verbindung von akademischer Welt und Industrie“. Denn ohne interdisziplinäre Zusammenarbeit werde es nicht gelingen, klimaneutrale Fahrzeuge zu entwickeln, ist er überzeugt.
Keyou hat bislang acht verschiedene Motoren für Wasserstoff umgerüstet und getestet, aber Sousa will „noch visionärer sein, mehr bewirken und verändern.“ Das macht er seit Ende September im Rahmen von „HyCET“, einem auf vier Jahre angelegten Forschungsprojekt für Lkw mit Wasserstoff-Verbrennungsmotor, gefördert vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Keyou entwickelt mit Volvo einen 13-Liter-Wasserstoffmotor für zwei 40-Tonner, die in der Transportlogistik der BMW Group durch DHL Freight zum Einsatz kommen sollen.
Welche sinnvollen Erfindungen würde Sousa gern noch vorantreiben? „Die Lösungen liegen direkt vor unseren Augen in der Natur“, sagt er. Um den Klimawandel zu stoppen, greift er in Portugal zum Spaten und pflanzt Eichen für Waldprojekte zur Wiederaufforstung. Den Erfinder treibt „ein einfaches Leben im Einklang mit der Natur“ um.