Auch das gehört zur Ausbildung auf dem Binnenschiff: Hauswirtschaftskunde und damit Kochen auf dem Schiff. Aber keine Bange: Vorrangig sind Nautik und Technik angesagt. Beispielsweise am Schiffer-Berufskolleg Rhein mit seinem Flachwasser-Fahrsimulator Sandra II.
Von Axel Granzow
Wer schlecht kocht, hat schlechte Karten auf einem Binnenschiff“, schmunzelt Klaus Paulus, der Leiter des Schiffer-Berufskollegs Rhein in Duisburg. Denn eine der ersten Aufgaben der Jungmatrosen an Bord sei nun einmal der Küchendienst. Hier gilt es, sich direkt gut einzuführen. „Unsere Schüler lernen in der Unterstufe daher auch kochen und bekommen dabei Rezepte vermittelt – alles nach ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen versteht sich“, so Paulus. Denn schließlich soll es nicht jeden Tag „Pommes frites“ an Bord geben.
Doch Kochen ist in Duisburg eher ein Thema am Rande – wenn es auch von großer Bedeutung für das oft wochenlange Gemeinschaftsleben an Bord ist. In der Berufsschule geht es vor allem um Nautik und Technik. Dabei wird inzwischen modernste Technik eingesetzt, wie der neue Flachwasser-Fahrsimulator Sandra II (Simulator Advanced Navigation Duisburg – Research and Application). Mit ihm kann unter verschiedenen Verkehrs- und Umweltsituationen das Fahren mit einem Binnenschiff trainiert werden. „Der Fahrsimulator unterstützt Auszubildende dabei, die vielfältigen Ausbildungsinhalte in einer sicheren Lernumgebung selbst zu erfahren und bereitet sie so auf die anspruchsvollen Herausforderungen der Binnenschifffahrts-Praxis vor“, erläutert Paulus.
In einer quasi realistischen Umgebung wird das aktive Fahren von Binnenschiffen auf eine Leinwand projiziert. Gleichzeitig können unterschiedlichste Einflüsse von außen, wie Wetter, Wind, Strömung, physikalische Reaktionen sich begegnender Schiffe oder Probleme mit der Schiffsbetriebstechnik, in Korrelation mit anderen Geräten oder Anzeigen eines Steuerstandes (Radar, elektronische Flusskarte, Alarme) „eingespielt“ und die Verhaltensweise der Schiffsführer darauf trainiert werden. „Binnenschiffe verhalten sich anders als Seeschiffe. Das können wir hier nun realitätsnah darstellen“, betont Paulus. Außerdem können damit künftig neben der Ausbildung auch die verpflichtenden Prüfungen für Schiffsführer am Simulator gewährleistet werden.
Schiffer-Berufskolleg Rhein bedeutender Partner
Seit Januar 2022 schreibt eine europäische Richtlinie praktische Prüfungen auf einem Schiff oder an einem Simulator für Schiffsführer vor. An Sandra II können gleich drei unabhängig und parallel arbeitende Prüfungskommissionen zeitgleich Prüfungen von angehenden Schiffsführern durchführen. Hinsichtlich der angestrebten Kompetenznachweise können diese Prüfungen für das „Schiffsführer-Patent“, für die Radarfahrt oder zur Kenntnis über ausgewählte Fahrstrecken (Streckenkunde) sein. Damit ist auch klar: Mithilfe von Sandra II bleibt das Schiffer-Berufskolleg Rhein ein bedeutender Partner der Ausbildung in Deutschland und darüber hinaus.
Berufsschüler Leonard Fahr, der seine Ausbildung bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) macht, hat bereits eine Trainingsfahrt absolviert: „Beim ersten Mal war ich schon ziemlich aufgeregt, ob das Schiff wie ein wirkliches Schiff reagiert. Aber das tut es“, berichtet er in einem Video auf der Internetseite des Schiffer-Berufskollegs. Trainiert wurden verschiedene Wetter- und Notfallsituationen. „Ich hoffe, dass ich derartige Situationen nur am Simulator lösen muss“, zeigt sich Fahr beeindruckt.
Das Schiffer-Berufskolleg Rhein in Duisburg nimmt deutschlandweit eine Sonderstellung unter den Berufsschulen ein. Denn in Duisburg werden nur maritime Berufe ausgebildet. Hier konzentriert man sich auf die Ausbildung zum Binnenschiffer, zur Fachkraft für Hafenlogistik und zum Bootsbauer (siehe Kasten). Neben der Berufsausbildung kann man zudem das Fachabitur erwerben. In Schönebeck bei Magdeburg gibt es eine weitere Berufsschule mit dem Bildungsgang Binnenschiffer, der dort aber nur ein Angebot unter vielen unterschiedlichen Berufsausbildungen ist.
Die Binnenschifffahrtsbranche hat einen enormen Nachwuchsbedarf, den die rund 60 Auszubildenden in Schönebeck und 350 in Duisburg pro Schuljahr nicht decken können, stellt Paulus weiter fest. Der Anteil der weiblichen Azubis liegt bei etwa 10 Prozent. Hier besteht offenbar noch viel Luft nach oben. Im Jahr 2017 feierte man in Duisburg den 20.000 Binnenschiffer nach Wiedereröffnung der Schule nach dem Zweiten Weltkrieg. Inzwischen dürften es mehr als 21.000 sein, die das Schiffer-Berufskolleg abgeschlossen haben.
Realitätsnahe Übungen inklusive
Neben dem Simulator stehen den Schülern aber auch ein Maschinenlabor, ein UKW-Labor, ein Elektrolabor sowie das europäische Sicherheitszentrum für die Binnenschifffahrt mit einem Original-Tankschiff-Nachbau zur Verfügung. Im Nachbau der Innenkabine eines Binnenschiffs können außerdem realitätsnah Übungen im Katastrophenschutz durchgeführt werden. Die Kabine kann dazu auch vernebelt werden. Künftige Hafenlogistiker können mit Flurförderzeugen an einem ISO-Container, Regalsystemen und zahlreichen Ladungssicherungsmitteln trainieren. Eine Holz- und Metallwerkstatt steht zur Ausbildung der Bootsbauer bereit.
Da die Schülerinnen und Schüler zum überwiegenden Teil aus Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz sowie vereinzelt auch aus Luxemburg, Österreich oder den Niederlanden kommen, findet der Unterricht am Berufskolleg als Blockunterricht statt – beispielsweise in 12- bis 14-wöchigen Trimestern für Binnenschiffer und Hafenlogistiker. Insgesamt kümmern sich 14 Lehrkräfte um die Auszubildenden. Untergebracht sind sie während ihrer Schulzeit wie in einem Internat auf dem Schulschiff Rhein. Es wird vom Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) betrieben und liegt in unmittelbarer Nähe des Schiffer-Berufskollegs vor Anker. Dort übernachten die Azubis in Einzel- und Doppelkabinen, werden von einer eigenen Bordküche versorgt und erhalten zusätzliche Praxisunterweisungen beispielsweise im Beibootfahren.
Binnenschiffer-Branche beklagt Fachkräftemangel
In den beiden vergangenen Jahren habe die Corona-Pandemie den Schulbetrieb ein wenig durcheinandergerüttelt, berichtet Paulus. Der Schulbetrieb musste 2020 zeitweise sogar eingestellt und das Schulschiff geschlossen werden. „Doch jetzt läuft alles wieder so normal wie derzeit möglich. Schule und Schulschiff sind geöffnet, wenn auch unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen“, so Paulus.
Die Ausbildung zum Binnenschiffer gilt als durchaus attraktiv. Als ein Anreiz gelten die vergleichsweise hohe Ausbildungsvergütung und die guten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Das bestätigt auch das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) in seinem Arbeitsmarktbericht: Grundsätzlich bestehen für ausgebildete Binnenschiffer nach erfolgreicher Ausbildung gute Übernahme- und Beschäftigungschancen. Im Klartext: In der Branche herrscht Fachkräftemangel.
Auch die Aufstiegschancen gelten als gut – vor allem altersbedingt. Denn viele Kapitäne in der Binnenschifffahrt stehen kurz vor der Rente. Ähnlich gut sind die Berufsaussichten für Fachkräfte in der Hafenlogistik und Bootsbauer. Fachkräfte werden überall händeringend gesucht.
Als problematisch galt in der Vergangenheit oft wegen längerer Abwesenheit von zu Hause die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dies führte laut BAG dazu, dass ein Teil der Binnenschiffer im Falle der Familiengründung den Beruf wechselt, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Doch versuchen viele Unternehmen hier gegenzusteuern und bieten zunehmend familienfreundliche Arbeitszeitregelungen an, wie beispielsweise 14 Tage an Bord und 14 Tage Freischicht. Ausbildungsbetriebe sind neben den Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen (WSV), Reeder, Genossenschaften, aber auch Partikuliere.
Universität Duisburg-Essen bietet Flachwasser-Expertise
Zu einem bedeutenden Partner des Berufskollegs hat sich inzwischen das ebenfalls in Duisburg ansässige Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST) an der Universität Duisburg-Essen entwickelt. Denn das DST betreibt den Flachwasser-Fahrsimulator Sandra II. Die Experten des DST programmieren ihre Flachwasser-Expertise in den Simulator, wodurch dieser neben der Ausbildung auch für die Weiterbildung sowie Forschungs- und Entwicklungszwecke genutzt wird. Im September 2020 wurde Sandra II offiziell in Betrieb genommen.
Auch Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) hat es sich nicht nehmen lassen, mit Sandra II eine erste Probefahrt zu unternehmen. „Die Erfolgsstory der Binnenschifffahrtssimulation in Duisburg wird konsequent fortgeführt. Das System hat eine Vorreiterrolle in Europa und setzt den Maßstab für diesen Typ Fahrsimulator“, meinte Link. Auch wenn während der Probefahrt sein Handy klingelte und ausgerechnet der Kämmerer der Stadt am Apparat war, zahlt die Kommune künftig lediglich für die Unterhaltung des Simulators. Finanziert wurde die Anlage aus Bundesmitteln.