Beim Transport von Pferdesperma zählt jede Stunde. Night Star Express bietet innerhalb Deutschlands eine Zustellung bis spätestens 8 Uhr am Folgetag, auch am Wochenende.
Von Werner Balsen
Um 7:17 Uhr ist der Job getan. Die graue Styroporbox liegt im Eingang des Hauses mit der Hausnummer 12b – Ferienhof Wiedemann. Noch schnell ein Foto als Beleg für die ordnungsgemäße Zustellung, und Krisztian, der wie Hami seinen Nachnamen nicht nennt, macht sich auf den Rückweg. Er ist seit etwa 1 Uhr unterwegs und hat nach mehr als sechs Stunden nur wenig Sinn für das beeindruckende Panorama: im Süden die Alpen, davor die Wiesen und Wälder des Westallgäus.
Diese Idylle rund um den Weiler Schreckenmanklitz ist die Heimat von Alana. Die Stute ist endlich wieder rossig – und für sie ist der Inhalt der Styroporbox bestimmt. Zweimal schon hat es mit dem Eisprung bei Alana nicht geklappt. Vor allem die Kälte sei schuld, vermutet Ruppert Wiedemann. Deshalb wurde seiner Stute am Vorabend ein Eisprung förderndes Hormon verabreicht. Das ist der Grund, warum es mit der Spermalieferung für Alana schnell gehen muss.
Der Samenspender, den Züchter Wiedemann für seine Stute ausgesucht hat, steht etwa 650 Straßenkilometer weiter nördlich in seiner Box in Hünxe am rechten Niederrhein. Es ist Vjento, der Prämienhengst der Hengststation Schult. Obwohl die Industrie des Ruhrgebiets nur wenige Kilometer südöstlich liegt, schaute Vjento ebenfalls auf ein idyllisches Umfeld, wenn er denn im Freien wäre: auf saftige Weiden, Wald und eine malerische Allee zur Hengststation.
In scharfem Kontrast zu der Ruhe, die Stallungen, der Reitplatz und die umliegenden Weiden ausstrahlen, steht die Hektik, mit der Aylin Muhr zwischen ihrem kleinen Büro und den Ställen hin und her fegt. Gerade hat sie Hami mit seinem weißen Sprinter noch knapp vor dem Hoftor gestoppt. Sie hat eine späte Bestellung aufgenommen, und die muss der Fahrer noch mitnehmen.
Hami fährt für Night Star Express, ein Unternehmen, das sich auf den Übernacht-Transport zeitkritischer Waren spezialisiert hat. Und in der Zuchtsaison gehört von März bis Anfang August Pferdesperma zu den zeitkritischen und hochsensiblen Produkten, die versendet werden. Hami hat durch die zusätzliche Bestellung, die Muhr hektisch abwickelt, Zeit für eine Zigarette. Er weiß, dass Pferdesperma kein Allerweltsprodukt ist. Früher, als er die Styroporboxen auch auslieferte, hat er gelegentlich deren Empfänger kennengelernt. „Da war einer, der stand in der Haustür, als ich so gegen 4:30 Uhr bei ihm ankam. Der hatte tatsächlich die ganze Nacht auf mich und meine Lieferung gewartet.“ Hami schüttelt den Kopf.
Vor Bruch und Hitze geschützt
Es ist 15:20 Uhr, als er die Hengststation verlässt. Hinten in seinem Sprinter liegen vier graue Styroporboxen, alle mit dem Logo der Hengststation Schult: zwei Pferde, die in entgegengesetzte Richtungen springen. Drei Boxen sind für Norddeutschland bestimmt, eine soll nach Süden, ins westliche Allgäu. Night Star Express garantiert den Kunden, Ware, die bis zum späten Nachmittag aufgenommen wird, bis zum nächsten Morgen, 8 Uhr, quittungslos zuzustellen.
Firmenmotto: „Wir liefern, wenn andere schlafen.“
Hami, der Fahrer auf der Tour AN01 (Wesel, Borken, Hamminkeln und eben Hünxe) steuert die Night-Star-Express-Niederlassung in Leverkusen an – Firmenjargon: „Konsolidierungspunkt West“.
Jetzt hat Aylin Muhr ein paar Minuten, um durch die Hengststation zu führen. Sieben Hengste sorgen aktuell bei Schult für frischen Samen auf Bestellung. „Bis 10 Uhr morgens sollten die Orders eingegangen sein“, erklärt Muhr. Dabei haben die Besteller eine genaue Vorstellung von dem Hengst, dessen Samen sie haben wollen. Auch Ruppert Wiedemann hat sich „Hunderte von Samenspendern“ angesehen, bevor er sich für Vjento entschied: „Der hatte interessante Papiere, und auch unterm Sattel hat er mich überzeugt.“
Sind die Bestellungen da, informiert Muhr Tobias Schult, ihren Chef: „Ich brauche Vjento.“ Für den Hengst geht es dann zu einem mit Leder überzogenen Holzbalken, dem Stutenphantom. Obwohl der alles andere als romantisch und anregend aussieht, „wissen die Hengste, was zu tun ist“, erläutert Muhr. Stimulierende Geruchsproben von rossigen Stuten sind selten nötig. Während Vjento, längst in Wallung, auf den Balken springt, wird ihm ein längliches gelb-rotes Kunststoffrohr über den ausgefahrenen Penis geschoben – die künstliche Vagina.
Nach getaner Hengstarbeit untersucht Schult sofort die Ejakulation: Wichtiger als die Menge der Flüssigkeit ist die Anzahl der Spermien. Ist alles okay, landet der Erguss – versetzt mit Samenverdünner – in einem Plastikröhrchen. Das packt Muhr, zusammen mit den Papieren für die Empfänger, in die speziell für den Spermatransport entwickelte Styroporbox: Das Röhrchen mit der milchigen Flüssigkeit liegt in der Mitte, rechts und links ist Platz für zwei Kühlakkus. So wird die wertvolle Fracht gekühlt und gegen Erschütterungen geschützt. 900 Euro plus Mehrwertsteuer und 45 Euro Transportkosten berechnet Schult den Kunden für den Frischsamen von Vjento.
Die Hengststation nutzt DHL, wenn es um Luftfracht ins entferntere Ausland geht. Für Transporte in die nähere Umgebung steht die belgische Firma Hippo-Express zur Verfügung. Aber alles, was deutschlandweit zugestellt werden muss, geht an Night Star Express. Der Abholdienst kommt während der Zuchtsaison täglich vorbei.
Drei Fahrzeuge und zwei Umschlagzentren
19 Uhr: Hami fährt am Verteilzentrum Leverkusen vor. Er lädt die vier Styroporboxen von Schuld auf das Rollband in der Sortieranlage. Um 19:12 Uhr scannt ein Mitarbeiter die angelieferten Samenpakete.
Der hat mittlerweile gut zu tun: 30 Leute nehmen am „Konsolidierungspunkt West“ Fracht an, scannen sie und sortieren sie an die Beladetore für den Weitertransport. Drei Pakete von Schult gehen Richtung Norden. Zwei davon landen vor dem Tor nach Lehrte, die dritte Box wird ans „Hamburger Tor“ gebracht.
Das Paket für den Ferienhof Wiedemann wird vom Band in einen Rollwagen mit der Aufschrift „NU“, Neu-Ulm, geladen und dann an das Tor „34/35-Neu-Ulm“ geschoben. Von hier macht sich um 19:30 Uhr das Fahrzeug mit der Sperma-Box für Wiedemann und diversen anderen Frachtgütern auf den Weg nach Süden. Um 0:45 Uhr erreicht es das Verteilzentrum Neu-Ulm.
Dort wartet bereits Krisztian, der Zusteller für die Region westliches Allgäu. Mit der Spermalieferung der Hengststation Schult an Bord seines Fahrzeugs startet er seine Liefertour Richtung Bodensee und Alpen.
Um 7:15 Uhr erreicht er Schreckenmanklitz und legt die graue Box im Eingang des Hauses 12b neben den Schuhen ab. Foto und fertig. Ob die Befruchtung von Alana heute gelingt, liegt nicht in seiner Verantwortung. (zp/fh)