Die Hafenstatistiker in Bremen und Hamburg staunten nicht schlecht, als sie die Umschlagzahlen des wertschöpfungsstarken, nicht containerisierten Stückguts vom Wettbewerber Antwerpen in ihre Exceltabellen eintrugen: Von 2020 auf 2021 stieg er – rückwirkend – sprunghaft von 6,6 auf 13,1 Millionen Tonnen an, 2022 legte er nochmals leicht auf 13,2 Millionen zu. Auch wenn jeder Hafen gern mal ein wenig im Rahmen der Möglichkeiten bei den Zahlen trickst – so rechnen die Hamburger beispielsweise auch verladene Fahrzeuge im RoRo-Verkehr in das Stückgut mit ein – der Sprung des Schelde Hafens war zu gravierend.
von Behrend Oldenburg
Die Lösung lag jedoch auf der Hand: Ohne dass es gleich aus den gelieferten Zahlen für die Statistiker ersichtlich war, handelte es sich um die aufaddierten Umschlagmengen aus Antwerpen und Zeebrügge. Hintergrund: Beide Häfen hatten sich im April des vergangenen Jahres zusammengetan. Seit der Unterzeichnung eines neuen Gesellschaftervertrags der Städte Antwerpen und Brügge werden beide Häfen als eine Einheit und unter einem neuen Namen weitergeführt: Port of Antwerp-Bruges. Damit entstanden der nach eigenen Angaben größte europäische Exporthafen, der größte europäische Hafen für den Fahrzeugumschlag und ein Containerhafen, der ganz dicht an den Marktführer Rotterdam heranrückt. Angesichts des hohen Wettbewerbsdrucks in der Nordrange ergibt die Fusion Sinn, fördert sie doch die Stärken beider Standorte: Antwerpen spielt eine große Rolle beim Umschlag und Handling von Containern, Stückgütern und chemischen Produkten. Zeebrügge gilt als wichtiger Hafen für RoRo-Verkehre, Flüssigerdgas (LNG) und ebenfalls für Container, wenn auch in deutlich geringerem Umfang.
Beide Häfen profitieren
Der Integrationsprozess, beispielsweise bei den unterschiedlichen digitalen Anwendungen, ist zwar noch nicht abgeschlossen. Aber es hat sich schon im ersten gemeinsamen Betriebsjahr gezeigt, dass sich die beiden Häfen sinnvoll ergänzen. So wurde ein Teil des Containeraufkommens von Antwerpen nach Zeebrügge umgeleitet, da die Kapazitäten im Schelde Hafen an ihre Grenzen stießen. Um auf den auch in Belgien angespannten Arbeitsmarkt zu reagieren, hat der Port of Antwerp-Bruges die gemeinsame Jobbörse havenjobs.com eingerichtet. Damit sollen Reichweite und Sichtbarkeit der Hafenunternehmen deutlich erhöht werden. „Die Fusion ist eine Win-win-Situation und ein Mehrwert sowohl für Zeebrügge als auch für Antwerpen“, bilanziert Dirk De fauw, Bürgermeister der Stadt Brügge und Vice Chairman des Port of Antwerp-Bruges: „Jetzt, ein Jahr nach der vollzogenen Fusion der beiden Häfen, können wir dies sehr deutlich an den Zahlen ablesen: Wir haben hier einen Hafen, auf den wir stolz sein können.“ Allerdings konnte sich die neue Hafengruppe 2022 und auch im ersten Quartal 2023 dem Ladungsschwund aller Nordrange- Wettbewerber nicht entziehen: TEU-Anzahl und Tonnen im Containergeschäft gingen zurück. Bis auf einen kleinen Zuwachs bei flüssigen Massengütern war der Umschlag in allen Segmenten rückläufig.
Kein Einzelfall
Die Idee einer Hafengemeinschaft bis hin zu einer Fusion ist zumindest im Benelux-Raum nicht neu. So wurde der North Sea Port mit seiner Gründung vor fünf Jahren auf Anhieb zu einem der zehn größten Häfen in Europa. Er besteht aus den ehemaligen Zeeland Sea ports im niederländischen Terneuzen und Vlissingen sowie dem Havenbedrijf Gent in Belgien, die durch einen Kanal miteinander verbunden sind. Vorbild war seinerzeit die Fusion der Häfen von Kopenhagen in Dänemark und Malmö in Schweden. Im Gegensatz zum Port of Antwerp-Bruges konnte der North Sea Port 2022 das beste Ergebnis seit der Fusion erzielen. „Angesichts des Brexits, zwei Jahren Pandemie, den Auswirkungen des Ukraine-Russland-Kriegs und der Energiekrise ist das ziemlich bemerkenswert“, bilanziert Daan Schalck, Vorstandsvorsitzender von North Sea Port, in dem Container nur eine geringe Rolle spielen. Auch für das laufende Jahr geht er „von einem immer noch soliden Jahr aus, in dem der Seegüterumschlag ein ähnliches Volumen von deutlich über 70 Millionen Tonnen erreichen wird.“ Die Vermutung liegt nahe, dass beide Hafengruppen, durch die Fusion gestärkt, relativ gut durch das derzeit raue Fahrwasser kommen. Doch wie sieht es bei den Wettbewerbern in Deutschland aus?
Deutsche Häfen zeigen wenig Interesse
„Die Fusion von Antwerpen und Zeebrügge erhöht den Druck auf die deutschen Terminalbetriebe, verstärkt zusammenzuarbeiten oder ebenfalls zu fusionieren“, meinte Norman Zurke, Hauptgeschäftsführer des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, schon 2021 im Vorfeld des Zusammengehens der beiden Westhäfen in der DVZ. Getan hat sich seitdem jedoch wenig. Im Gegenteil: Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) als größter deutscher Terminalbetreiber und der Bremer Konkurrent Eurogate vertagten im vergangenen Juli ihre zuvor ohnehin halbherzig und schleppend geführten Fusionsgespräche „auf unbestimmte Zeit“, wie es in einer Pressemitteilung hieß. Die wurde immerhin gemeinsam verfasst. Bei einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag im Mai dieses Jahres zum Thema „Hafenstandort Deutschland stärken“ kam das Thema wieder auf den Tisch, und zwar von Malte Siegert, dem Vorsitzenden des Nabu-Landesverbands Hamburg. „Eine ideologiefreie Diskussion über eine deutlich engere Zusammenarbeit der Verwaltungen vor allem der großen deutschen Seehäfen Bremerhaven, Wilhelmshaven und Hamburg ist längst überfällig“, so Siegert. Der Bund müsse dafür Sorge tragen, dass „die Schlagkraft der schwächelnden deutschen Seehäfen gegenüber den westlichen Häfen der Nordrange, vor allem Antwerpen und Rotterdam, durch eine gemeinsame Hafenstrategie gestärkt wird.“ Die deutschen Seehäfen würden weiterhin mehr gegen- als miteinander arbeiten: „Ein Deutsche-Bucht-Standort könnte mit einem Umschlagvolumen von rund 16 Millionen TEU Europas größter Seehafen sein und ein Gegenmodell zum Port of Antwerp-Bruges und Rotterdam bilden.“ An die Umsetzung sei jedoch schwer zu glauben, so Siegert. Einen kleinen Hoffnungsschimmer am Horizont der deutschen Küsten gibt es jedoch, was das Thema internationale Zusammenarbeit angeht: Der Hafenbetreiber Niedersachsen Ports Cuxhaven will bei der Verladung und Abfertigung von Offshore-Windenergieanlagen künftig enger mit vier weiteren europäischen Häfen kooperieren: Mit Esbjerg in Dänemark, Oostende in Belgien, Groningen/Eemshaven in den Niederlanden sowie Nantes-Saint Nazaire in Frankreich sollen Know-how ausgetauscht und Hafenkapazitäten effizient genutzt werden.